Rilkerätsel by Hermann Bauer
Autor:Hermann Bauer [Bauer, Hermann]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Gmeiner-Verlag
veröffentlicht: 2015-07-19T16:00:00+00:00
Kapitel 9
Vielleicht sind alle Drachen unseres Lebens Prinzessinnen, die nur darauf warten, uns einmal schön und mutig zu sehen. Vielleicht ist alles Schreckliche im Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will.
(Rilke an Franz Xaver Kappus)
Gespannt wartete man am nächsten Morgen im Café Heller darauf, was Stanislaus Kubista tun würde: kommen oder den Beleidigten spielen. Schließlich traf er wie gewohnt ein, nur etwas später als sonst. Seine Äuglein waren klein und rotgerändert. Wahrscheinlich hatte er sie die ganze Nacht nicht zugetan.
Frau Heller zog sich diskret zurück und überließ Leopold das Schlachtfeld. Sie musste erst einmal ihre ganzen Emotionen verarbeiten, ehe sie Kubista wieder vorurteilslos gegenüberstehen konnte. Leopold aber hatte Lunte gerochen: Immerhin war etwas Wahres daran, dass Kreil und Kubista sich am Abend vor dem Mord zur gleichen Zeit im Kaffeehaus befunden und wahrscheinlich gesehen hatten. Er konnte also zumindest ein bisschen nachhaken und prüfen, ob es sich um ein brauchbares Indiz handelte. »Guten Morgen, der Herr«, säuselte er, während der das Frühstück vor Kubista hinstellte: die Eier, die Buttersemmel und den Tee. »Hatten Sie eine angenehme Nachtruhe?«
»Bitte stellen Sie keine Fragen zur gestrigen Nacht«, ersuchte Kubista ihn und machte mit den Händen eine abwehrende Bewegung.
»Ich muss mich ja erkundigen«, ließ sich Leopold nicht beirren. »Ich habe gehört, dass unsere Chefin Sie gestern noch aufgesucht hat. Sie bedauert das sehr. Sie hat sich halt Sorgen um Sie gemacht.«
»Sorgen? Wieso macht man sich Sorgen, wenn ein Mensch nach Hause in seine eigene Wohnung geht?«, wunderte sich Kubista.
»Sie haben so einen – entschuldigen Sie den Ausdruck – depressiven Eindruck gemacht, als Sie uns verlassen haben. Für unsere Chefin war das der Anlass, nach dem Rechten zu sehen. Sie hätten sich schließlich etwas antun können.«
»Lächerlich«, platzte es aus Kubista heraus. »Bitte lassen Sie mich auch mit derlei Spekulationen in Frieden. Ich bin so schon gestraft genug.«
Leopold tat er im Grunde genommen leid. Aber er war nicht der Mann fürs Bedauern oder Erfinden tröstender Sprüche. Wenn es um echte Gefühle ging, stellte sich Leopold erstaunlich ungeschickt an. Es gab da eine Hemmschwelle, und es gelang ihm nur äußerst selten, sie zu überwinden. So kam er rasch auf das zu sprechen, was er in Erfahrung bringen wollte. »Wie gut kannten Sie René Kreil?«, fragte er mit einem Mal.
Kubistas übernachtiges Gesicht wurde noch um eine Spur blasser. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. »Wie meinen Sie das?«, entgegnete er und schluckte dabei nervös. Leopolds Attacke hatte ihn voll getroffen.
»Ganz einfach: Wie gut kannten Sie ihn?«
»Ich weiß nicht, warum ich ihn überhaupt gekannt haben sollte.« Kubista drehte sich weg in Richtung Fenster.
Aber seine Verunsicherung war für Leopold nur ein Zeichen, dass er seinen Angriff zielstrebig weiter vortragen musste. »Herr Kubista, wie wär’s, wenn Sie mir, statt alles so in sich hineinzuschlucken, ein bisschen etwas darüber erzählen würden? Es täte Ihnen sicher gut«, machte er einen Vorschlag zur Güte.
»Ich schweige«, war das Einzige, was Kubista dazu äußerte.
»Wissen Sie, was das Dumme an einem Mord ist? Außer der Tatsache, dass jemand umgebracht worden ist natürlich? Das Dumme ist, dass es schnell allerlei Gerüchte und Vermutungen gibt, die sich rasch weiterverbreiten.
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